EINFÜHRUNG

Kunstpreis der Stadt Starnberg 2009
1. Preisträgerin
Christine Wieland

Begründung der Jury:
Die großformatigen Bilder von Christine Wieland überzeugen wegen ihrer Suggestivkraft und laden zur näheren Betrachtung ein. Durch den professionellen Einsatz der bildnerischen Mittel gelingt es der Künstlerin, ihre hintergründige Thematik zu verwirklichen.
Ihre Bilder bewegen sich im Spannungsfeld einer erfindungsreichen malerischen Umsetzung fotografischer Vorlagen, von strengen grafischen Elementen und virtuoser Zeichnung. So entstehen verschiedene Realitätsebenen, die in einer komplexen Bildräumlichkeit zusammengefasst sind. Durch das intelligente Zitieren aus der Bildwelt der Medien wird ihre politische Botschaft eindringlich, ohne entsprechende Klischees zu bedienen.

Starnberg, 7. Oktober 2009
Stadt Starnberg
Ferdinard Pfaffinger, 1. Bürgermeister

CROSS MEDIA PAINTING

Eine der für mich wichtigsten Aufgaben der Kunst ist es, den Ausdruck ihrer jeweiligen Zeit einzufangen, zu dokumentieren und zu kommentieren.

Welches sind die markanten Merkmale unserer Zeit?
Rasante Fortschritte in Technik und Biologie, Medienpräsenz, intensives Freizeitverhalten auf breiter Ebene.
Ein weites Feld, und es ist nicht schwierig, täglich und überall fündig zu werden. Das Wichtigste dabei ist die Idee, die Geschichte. Für die Serie CROSS MEDIA PAINTING finde ich das erzählerische Zubehör in den Medien:
Zeitung und Zeitschriften, Pressefotos, Werbung, Film, TV, Internet, Chroniken etc.
Ich verbinde interessante Informationen aus verschiedenen Bereichen fragmentarisch zu einer neuen Information, meiner Geschichte.

Es ist mir sehr wichtig, dass dabei Arbeiten entstehen, die Geheimnisse bergen und nicht sofort lesbar sind, die auch verschiedene Deutungen zulassen, die jedoch meine Ideen vertreten und konservieren. Zum Teil sind es Dokumente unseres Alltags, zum Teil kommentieren sie das politische und gesellschaftliche Geschehen oder die Medien selbst.

Hier einige Beispiele:
Die Zeitung von gestern ist heute Einwickelpapier.
Kino: Wagner stellt Faust den Homunculus vor (1936).
Teheran empfängt Filme (2005).
Kyoto: Presse- und TV-Berichte über die Umweltkonferenz.
Haifa 48: Berichte über Jahrestage wie die Gründung des israelischen Staates und die Einreise der ersten Juden. Treibholz landet.
Boys' toys: Die Gegenüberstellung des ersten Motorrad-Rennfahrers und der jetzigen Materialschlachten provoziert die Frage nach dem Ziel.
Big Brother. Statistiken leben davon, dass Lebewesen bis in ihre intimsten Lebensräume (Fressen) verfolgt werden.

Ist die Geschichte erst einmal entworfen, ist die Malerei sozusagen die Wahl des geeigneten Schreibstils.

Christine Wieland

wurde am 19. Oktober 2005 als erste Künstlerin mit dem Gräfelfinger Kunstpreis ausgezeichnet.

Die Künstlerin beschäftigt sich heute hauptsächlich mit zeitgenössischen Themen, nachdem sie viele Jahre vorwiegend abstrakt-grafisch auf großen Formaten gearbeitet hat. Diese künstlerische Entwicklung ist erstaunlich, man könnte von einem Bruch oder einem mutigen Neuanfang sprechen.
Durch die Verwendung von Fotografien und Informationen aus der Medienwelt schafft sie einen Spannungsbogen zwischen Gegenständlichem und Symbolischem.
Die Bilder sind anspruchsvoll und können freibleibend bei intensivem Betrachten entschlüsselt und individuell interpretiert werden. An den großformatigen Arbeiten von Christine Wieland wird kaum jemand gleichgültig vorübergehen, denn sie wecken die Neugier. Sie regen auch dazu an, eigene Geschichten zu erfinden.
Nach wie vor zeigt die Künstlerin auf großen Formaten ihr handwerkliches Können und spielt mit verschiedenen Gestaltungsmitteln. Gegenständliche Darstellungen aus dem aktuellen Zeitgeschehen und der Geschichte sowie Schrift und Symbolik setzt sie auffallend dicht collagenartig oder fragmentarisch ein, wobei die verwendeten Text- und Wortelemente entweder verschlüsselnde oder auch erklärende Funktion haben. Die Farbe hat eine untergeordnete, eher akzentuierende Bedeutung.

Beate von Starck
für den Kunstkreis Gräfelfing

Stories / Fragility

Christine Wieland, "Stories"

Einführung von Dr. Margrit Lurz, Kunsthistorikerin und Galeristin

Ein Nomade ist ein Wanderer von Ort zu Ort, immer bereit, seinen Lagerplatz aufzugeben, um einen neuen Weg zu suchen und Neues zu entdecken. Sein Leben, sein Arbeiten sind weder an einen bestimmten Ort gebunden noch von diesem abhängig.
Christine Wieland liebt das Nomadenhafte, eben diese Abwechslung, das Ungebundene. Sie erzählt ohne Anpassungszwänge bewegte und bunte Geschichten, ihre "Stories".

Heimrad Prems Gedanken über den Prozess des Malens mögen auch für Christine Wieland gelten: "Vor dem Beginn des Malens weiß man nicht, was am Ende entsteht. Es ist wie beim Einschlafen, du kannst den Traum, welchen du haben wirst, nicht vorausplanen. Wenn man nun mitten in der Malerei steckt und schon vergessen hat, dass man einmal eine bildnerische Intelligenz besaß, dann greift man mit traumwandlerischer Sicherheit nach der Farbe, die man selbst bei stundenlangem Nachdenken mit der Vernunft nie entdeckt hätte." (1)

Christine Wielands Malgeschichten entwickeln sich frei, Schritt für Schritt während eines teilweise langwierigen Prozesses, sie wachsen zwischen abstraktem Denken und figurativem Wahrnehmen. Auch die Titel entstehen meist während der Arbeit mit dem Fortschreiten der Handlung.
Dem Betrachter fällt es nicht immer leicht, die "Stories" zu lesen, die Bilderzählungen zu entschlüsseln. Erst bei längerer Betrachtung wird er sich in die "Stories" "einlesen" und den Dialog aufnehmen können.

"Malen bedeutet für mich, die Erfahrungsanalogien und -differenzen zu registrieren und ein Erzeugnis zur Entstehung zu bringen, das - aus dem Malprozess entlassen - für den Betrachter wie für den Maler selbst sich als Reflexion menschlichen Daseinserlebnisses darstellt und anbietet. So scheint mir "Malen" ein Prozess, dessen Wesensgehalt forschendes Tun ist - ein forschendes Tun als Ergebnis offener Analysen", so weit der informelle Maler Fred Thieler. (2)

Christine Wieland forscht ihrerseits in die Tiefe der Arbeit und entwickelt kalligraphische Bildstrukturen, indem sie mit Ölkreide Striche zieht und übereinander lagert, andererseits die weiße Oberfläche aufkratzt und Formen freilegt, Erinnerungen wachruft; mit minimalistischen Mitteln werden Geschichten erzählt.

Mit den zeitgenössischen amerikanischen Künstlern teilt sie die Vorliebe für große Formate, denn diese erlauben einen großen Atem. Es kann sich auf der einen Seite der Leinwand eine Szene entwickeln, die auf der anderen Seite des Gemäldes eine völlig andere Fortsetzung findet. Hier kann sich eine Geschichte auf mehreren Handlungsplätzen entwickeln, kann ein langer, bedachter Arbeitsprozess fließen. Der Betrachter wird seine Blicke frei über das Kunstwerk schweifen lassen und Zusammenhänge ablesen lernen, die sich in einem mehr oder weniger farbigen Spannungsbogen über die Fläche ziehen.
Die Künstlerin entzieht sich den gängigen Stilkriterien der Moderne und setzt auf ihre eigene Erfahrung des Sehens. Spontan folgt sie ihrer Intuition.

"Technic is a result of need", sagt Jackson Pollock.
Christine Wieland benutzt die Technik der Schichtenmalerei. Sie arbeitet sich von der untersten -farbigen - Schicht durch teilweises Abdecken mit weißer Farbe über mehrere Schichten vor zum letzten Arbeitsgang, der Zeichnung, die durch Frottagetechnik, Herauskratzen der darunterliegenden Farbe und den Einsatz von Ölkreiden erfolgt.
Die Farbpalette der "Stories" ist sehr unterschiedlich. Die Malerin weiß, dass Farbe die Sinne des Betrachters unmittelbar anspricht und damit die normale Leserichtung von links nach rechts - wie in der Literatur - verhindern kann. Karge Farben auf der Leinwand dienen dazu, eher großflächig zu sehen und zu lesen. Andererseits stärkt eine kräftige Farbgebung, hier u. a. durch großflächiges Abtragen der weißen Fläche hervorgebracht, die Aussage einer Arbeit.

Vordergründig in Christine Wielands Arbeiten ist häufig das Fliegen, als ein solches betrachtet sie im übertragenen Sinn auch ihre Arbeit. Wieder zurück aus dem visuellen Raum in ihrem Atelier bringt sie oft eine abgeschlossene "Story" mit.

1) Heimrad Prem, Auszug aus Faltblatt zur Ausstellung Gal. Schübbe. Düsseldorf 1976
2) F.Thieler, Wegzeichen ins Unbekannte, Rothe Verlag Heidelberg 1962